Demografie, Diversität und Digitalisierung gestalten– ein Modell für ein Generationenmanagement (Teil IV)
Dr. Beatrix Behrens & Dr. Carolin Eitner
Digitalisierung bringt Herausforderungen
„Digitaler Fortschritt“ ist kein Schlagwort mehr, sondern betrifft fast alle Bereiche in Unternehmen und Verwaltung. Egal ob Produktion, Vertrieb oder Dienstleistung, Arbeitsweisen verändern sich, und Beschäftigte werden ständig vor neue Herausforderungen und Anforderungen gestellt. Zugleich sinkt die Halbwertzeit des Wissens und Lebenslanges Lernen wird zur grundlegenden Voraussetzung für alle Beschäftigten, um am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu sein und zu bleiben. Gerade im Kontext von Digitalisierung und Demografie ist Denken und Handeln in Stereotypen nicht ganz auszuschließen- insgesamt auch eine neue Herausforderung für das Diversitätsmanagement der Zukunft.
Fällt es älteren Beschäftigten schwerer, mit dem Wandel „Schritt“ zu halten? Bedürfen sie anderer Konzepte oder Lerninhalte? Oder ist ab einem bestimmten Alter die Lernfähigkeit zu Ende und sie kommen mit neuen Technologien „nicht mehr klar“? Auf der anderen Seite sprechen wir hier von einer Mitarbeitergruppe, die vielfach noch 5, 10, 15 Jahre im Berufsleben vor sich hat. Kann es sich eine Organisation erlauben, diese Beschäftigtengruppe nicht „auf dem Tableau“ zu haben? Werden hierüber nicht ohnehin bestehende Stereotypen oder Bias- Aspekte gepflegt?
Lebenslanges Lernen
Lebenslanges Lernen und die Fähigkeit mit den neuen Begebenheiten umzugehen, sind bereits heute wichtige (Zukunfts-) Kompetenzen. Schließlich verändern sich mit digitalen Prozessen auch Jobprofile und Aufgaben. Es wird stärkeres analytisches oder systemisches Denken gefordert, repetitive Aufgaben reduzieren sich und die Interaktion zwischen Mensch und Software wird zur Normalität. Neben dem Wandel bestehender Tätigkeiten wird es auch Jobs geben, die in naher Zukunft unsere Arbeitswelt mitbestimmen und die heute noch nicht existieren. Bereits jetzt entstehen völlig neue digitale Ausbildungsberufe und Studienrichtungen, während bestehende Ausbildungswege komplett auf den Kopf gestellt werden.
Der Wandel der Tätigkeiten und Jobprofile führt dazu, dass in Zukunft sowohl Hochqualifizierte wie weniger Qualifizierte gebraucht werden. Hochqualifizierte Beschäftigte entwickeln zum Beispiel neue Technologien, bewerten Daten und ziehen daraus Schlüsse. Aber auch Jobs für weniger Qualifizierte werden nicht komplett wegfallen, denn Technik unterstützt sie bei der Arbeit und erhöht zum Beispiel ihre Produktivität.
Zukunftskompetenzen
Vor diesem Hintergrund ist Lebenslanges Lernen für alle Alters- und Berufsgruppen wichtiger denn je. Dabei nehmen Zukunftskompetenzen und der sichere Umgang mit moderner Technik eine zentrale Stellung ein.
Info-Box: Kompetenzen für eine moderne und digitale Arbeitswelt Welche Kompetenzen werden – neben erlernten Fachwissen und „digital skills“ – in Zukunft wichtiger werden, um den (digitalen) Wandel erfolgreich zu meistern und sich in einer neuen Arbeitswelt zurecht zu finden? Beispiele:
|
Die Diskussion um die Frage, ob ältere Beschäftigte weniger in der Lage sind, im digitalen Wandel mitzuhalten, wird dabei immer wieder gestellt. So fiele es ihnen schwerer, sich in einer Arbeitswelt des Umbruchs und Wegfall vertrauter Strukturen zurecht zu finden oder sich schnell in neue Arbeitsweisen einzuarbeiten und neue Kompetenzen zu erlernen. Ältere Beschäftigte wurden – anders als die junge Generation- nicht in die „digitale Revolution“ hineingeboren. Sie sind keine „digital natives“. Dennoch findet technischer Fortschritt nicht erst seit gestern statt. Ältere Mitarbeitende waren schon immer gefordert, technologische Veränderungen in der Arbeitswelt zu bewältigen. Geändert hat sich die Schlagzahl, mit der die Digitalisierung einhergeht und dies ist ein echter Umbruch – für alle Beschäftigten in jedem Alter.
Umgang mit Digitalisierung, keine Frage des Alters
Ist der erfolgreiche Umgang mit der Digitalisierung also eine Frage des Alters?
Nein! Generell gilt, gerade durch die zunehmende Integration neuer Software in die tägliche Arbeit und damit sich stark verändernder und verschlankender Prozesse, müssen Mitarbeiter aller Altersgruppen „mitgenommen“ werden – egal ob jung oder alt. Der Erfolg neuer Softwarelösungen hängt im entscheidendem Maße davon ab, wie sie zukünftig genutzt wird. Dabei ist es wichtig, unterschiedliche Zielgruppen – jung/alt, qualifiziert/weniger qualifiziert – auch individuell anzusprechen und zu begleiten und ihnen den Sinn der (künftigen) Software-Architektur verständlich zu machen. Es macht auch zunehmend Sinn, die Partizipation der Mitarbeitenden bei Entwicklungsprozessen zu fördern – auch bei der Softwareeinführung und dem Design von Prozessen.
Bereits seit vielen Jahren ist bekannt, dass Lernfähigkeit und geistige Fitness bei entsprechendem Training bis ins hohe Alter weitgehend erhalten bleibt. Dennoch ändern sich Rahmenbedingungen des Lernens. So ist es normal, dass für Lernziele länger benötigt wird oder die Lerninhalte anders aufbereitet werden sollten.
Wichtig hier ist eine Grundlage zu schaffen, die Motivation, Veränderungsbereitschaft sowie Eigenverantwortung für die eigene Entwicklung erhalten. Kontinuierliche Weiterbildung und Qualifikationen sind daher ein wichtiger Schlüssel zum Erhalt der Lern- und Leistungsbereitschaft. Auch dies ist nicht eine Frage des Alters, sondern sollte für alle Beschäftigte gelten. Der Prozess beginnt schon mit dem Onboarding.
Anforderungen an die neue Lernwelt – Intergenerationales Lernen
Die Gleichbehandlung aller Beschäftigten ist ein großer Wert. Alter darf kein Stigma sein. Entwicklungsperspektiven – horizontal und vertikal – müssen demnach unabhängig vom Alter sein. Je selbstverständlicher zum Beispiel der Austausch zwischen jüngeren und älteren Mitarbeitern ist, desto weniger wird die eigene Lernfähigkeit hinterfragt. Eigene Programme für Ältere machen daher nur wenig Sinn getreu dem Grundsatz: Was für Jüngere gut ist, ist auch gut für Organisationserfahrene. Es gilt, das intergenerationale Lernen zu fördern und hierzu auch u.a. Räumlichkeiten und weitere Ressourcen zur Verfügung zu stellen (z.B. Experimentierräume). Zudem bieten Ansätze wie Reverse-Mentoring neue Perspektiven. Ebenso Mentoring, Lernbegleitung oder Lernpatenschaften. Lernen in kleinen Häppchen, gerne arbeitsplatznah und anwendungsorientiert sind erfolgsversprechender als groß angelegte Seminarreihen. Digitalisierung benötigt also neue Lernwelten auch jenseits von Präsenzformaten und blended learning.
Ein Blick hinter die Kulissen: Praxisbeispiel: thyssenkrupp Steel Praxis-Box: Academies bei thyssenkrupp Steel In verschiedenen „Academies“ können Mitarbeitende der thyssenkrupp Steel Europe AG sich weiterbilden. Die Academies für Forschung & Entwcklung, Finance und Sales ergänzen das gesamte Weiterbildungskonzept. Das Besondere dabei ist: Die Referenten der Academies stammen aus den eigenen Reihen. Getreu dem Motto „aus der Praxis für die Praxis“ schulen vielfach erfahrende und langjährige Mitarbeitende ihre Kolleginnen und Kollegen.Mitarbeiter von thyssenkrupp Steel Europe schulen Kollegen – aus der Praxis für die Praxis. Die interdisziplinäre Ausrichtung der Schulungen kommen nicht nur neuen Mitarbeitenden bei der Einarbeitung zu Gute, sondern vermitteln insbesondere Schlüsselqualifikationen und -kompetenzen für die tägliche Arbeit. Besonders das Wissen langjähriger Mitarbeitender wird geschätzt und vermittelt. |
Tandems oder teamorientierte Projektstrukturen
Eine recht unkomplizierte, aber sehr effektive Möglichkeit ist es, Tandems zwischen jüngeren und erfahrenen, älteren Mitarbeitenden aufzubauen. Diese funktionieren in zwei Richtungen. Denn während jüngere Mitarbeiter oftmals versierter und angstfrei im Umgang mit neuen Medien sind, haben ihre älteren Kolleginnen und Kollegen einen Erfahrungsvorsprung z.B. bei der Interpretation von Daten. Erworbenes Wissen wird wertgeschätzt und neue Kompetenzen können in einem geschützten Raum angeeignet werden, und die Zusammenarbeit und das Verständnis zwischen den Generationen wird gefördert. Ebenso wie der Aufbau interdisziplinärer und generationengemischter Projektteams. Dabei profitieren das Projektmanagement von der langjährigen Erfahrung der Älteren und neuen Arbeitsweisen der Jüngeren.
Praxis-Box: Mobiles Arbeiten bei thyssenkrupp Steel Mit der Einführung einer Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten wurde bei der thyssenkrupp Steel Europe AG ein wichtiger Grundstein gelegt, um Beruf und Privates besser miteinander zu verbinden. Arbeiten von einem anderen Ort aus ist nicht nur für junge Menschen interessant. Gerade auch ältere Arbeitnehmende haben vielfältige berufliche und private Pflichten, die es miteinander in Einklang zu bringen gilt. Als die Corona Pandemie sich verschärfte, hatte das Unternehmen bereits eine sichere Rechtsgrundlage für alle Beteiligten zur Verfügung. Die Erfahrung zeigt, dass sowohl jüngere als auch ältere Mitarbeitende sehr gut und zielorientiert (in Corona-Zeiten) von zu Hause arbeiten können. Durch eine umfassende Kollaborations-Plattform und mit Hilfe technischer Ausstattung ist „erfolgreiches Arbeiten auf Distanz“ auch in Projekten gut gelungen. |
Kommunikation ist ein wichtiger Erfolgsfaktor
Häufig unterbewertet, aber ein entscheidender Faktor ist die Kommunikation des digitalen Wandels. Auch ältere Beschäftigte können für die Digitalisierung begeistert werden und auf die Reise in neue digitale Prozesse, Abläufe oder Verfahren mitgenommen werden. Zudem ist entscheidend, dass eine hohe Praxisorientierung und Alltagstauglichkeit berücksichtigt wird. Erfahren sie Nutzen und Vorteile und erleben positive Beispielen in ihrer Arbeit, erhöht dies die Akzeptanz, diese Reise gemeinsam anzutreten.
Praxis-Box: „Hidden Champions“ zur Einführung einer neuen Kollaborations-Plattform Die unternehmensweite Einführung einer neuen Software ist eine große Herausforderung. Ein generationengemischtes Team aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschiedlicher Fachrichtungen konnte die neue Kollaborations-Plattform vor offiziellem Start intensiv erproben und wurde in den Tools und Möglichkeiten geschult. Nach Launch waren sie Ansprechpartner für Beschäftigte, wenn Fragen rund um die Nutzung auftauchten. So wurde direkt ein positives Bild der neuen digitalen Arbeitsumgebung für alle Beschäftigten – egal ob jung oder erfahren – geschaffen. |
Fazit: der digitale Wandel verändert die Arbeitswelt
Der digitale Wandel bringt weitreichende Veränderungen in der Arbeitswelt mit sich. Dabei müssen ältere wie jüngere Mitarbeitende auf der digitalen Reise mitgenommen werden und ihre Kompetenzen und Fähigkeiten (lebenslang) anpassen und weiterentwickeln. Zur Unterstützung dieses immerwährenden Prozesses werden Führungskräfte benötigt, die lernförderliche Arbeitsumgebungen schaffen und inspirieren. Ihnen kommt eine aktive Rolle bei der Gestaltung des (digitalen) Wandels zu. Führungskräfte benötigen dabei Unterstützung durch das Personalmanagement – zum Beispiel bei der Führung altersgemischter Teams. Offenheit für neue Begebenheiten, Vermeidung von Stereotypen und Möglichkeiten des (geschützten) Lernens und Austauschs zwischen den Mitarbeitergruppen sind nur einige fördernde Faktoren, um die Belegschaft auf Digitalisierungsprozesse vorzubereiten.
Lesen Sie auch Teil I, Teil II und Teil III dieser Reihe.
Lebensphasenorientiertes Demografiemanagement bei thyssenkrupp Steel Europe.
Bereits seit über 10 Jahren, basierend auf einem Demografie-Tarifvertrag in der Eisen-und Stahlindustrie hat thyssenkrupp Steel Europe ein systematisches Demografiemanagement aufgebaut. In den vergangenen Jahren wurde es konsequent an den Lebens- und Berufsphasenorientierung ausgerichtet und dies auch zum Beispiel im Intranet veröffentlicht. Über die vergangenen Jahre wurden eine Vielzahl an Work-Life-Balance Maßnahmen weiter)entwickelt. Hierzu zählt unter anderem die Betriebskita „Stahlsternchen“ für bis zu 90 Mitarbeiterkindern in Duisburg ebenso wie die Pflegemappe als Informationsmedien bei Fragen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Ein Meilenstein 2019 ist die weitreichende Betriebsvereinbarung zum Mobilen Arbeiten, die gerade auch bei der Corona-Pandemie essentiell war, um geregelt von zu Hause aus weiterarbeiten zu können. Um die physische und psychische Gesundheit zu stärken, stehen den Mitarbeitenden viele Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie des Sozialservice zur Verfügung.
Die berufliche Rehabilitation nimmt Beschäftigte in den Blick, deren Leistungsfähigkeit sich etwa durch Krankheit oder andere Schicksalsschläge verändert hat. Mit präventiven Konzepten und einem modernen Arbeitsumfeld wird die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben gestärkt. Der ganzheitlich aufgesetzte Onboardingprozess sowohl für Neueinsteiger aber auch bei internem Jobwechsel hilft neuen Teammitgliedern sich schnell kulturell im neuen Aufgabenumfeld einzufinden. Ein erster Pilot zur Verbesserung des Verständnisses zwischen Jung und Alt wurde erfolgreich erprobt; besonders regen Anklang finden seit Jahren Workshops, die Mitarbeitende auf den nahestehenden Ruhestand vorbereiten.
Dieser Blog stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung des EIPA.