Demografie, Diversität und Digitalisierung gestalten– ein Modell für ein Generationenmanagement (Teil II)
Dr. Beatrix Behrens & Dr. Carolin Eitner
Wandel in der Arbeitswelt
Die Mitarbeitergewinnung und – bindung ist zu einer zentralen Herausforderung für die Wirtschaft und Behörden geworden. Karriere und Einkommen sind zwar auch weiterhin Motivationsfaktoren – doch stehen sie in Konkurrenz zu weiteren Angeboten der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben Organisationen müssen sich neben monetären Anreizen überlegen, was sie ihren (zukünftigen) Fachkräften bieten können, um die Arbeitgeberattraktivität zu erhöhen.
Das Berufsleben kann heute individuell durch viel mehr Lernphasen unterteilt bzw. auch unterbrochen werden. Modulare Bildungsangebote, die interne Aus-und fortbildung sowie flexible Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsort unterstützen diesen Trend. Zum Beispiel werden Sabbaticals auch in einer späteren Lebensphase genutzt, um zu studieren, zu promovieren oder für eine private Auszeit. Die Rush-Hour des Lebens kann sich zunehmend auf eine spätere Lebensphase verschieben. Pflegeaufgaben oder Veränderungen im privaten Bereich können zusätzlich hinzukommen. Doppelbelastungen wollen gemeistert werden, ohne dass das Berufs- oder Privatleben sowie eine mögliche Karriere darunter zu sehr leidet. Vor diesem Hintergrund steht auch die Förderung der Gleichstellung und Chancengleichheit im Fokus.
Wertewandel als personalpolitische Herausforderung
Der Wertewandel zwischen den Generationen spielt eine wichtige Rolle. Die jüngere Generation hat hohe Erwartungen an ihre Arbeitgeber: gute Arbeitsbeziehungen (emotionale Bindung) und attraktive Arbeitsbedingungen werden nachgefragt. Eine von Wertschätzung geprägte Kultur wird in jedem Alter gewünscht. Daneben möchten ältere Beschäftigte Ihr Wissen gerne an die nachfolgende Generation weitergeben. Ein strukturiertes Verfahren für den Wissenstransfer ist angesichts der planerisch zu erwartenden altersbedingten Personalfluktuation unabdingbar, um Organisationen leistungsfähig zu erhalten.
Lebensphasenorientierte Personalpolitik
Das Ziel einer lebensphasenorientierten Personalpolitik ist es, Mitarbeitende über jede Lebens- und Berufsphase individuell zu begleiten und in ihrer persönlichen Entwicklung zu unterstützen. Eigenverantwortung und Selbstorganisation sollen gestärkt werden. Das Ziel ist die Förderung der Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit in jedem Alter und in jeder Lebensphase (Kompetenz, Gesundheit, Engagement). Lebensphasenorientierte Personalpolitik ist damit kein Selbstzweck: vielmehr orientieren sich die damit verbundenen Maßnahmen und Angebote an den Zielen der Organisationen, der Steigerung der Leistungsfähigkeit und Serviceorientierung. Die nachstehende Abbildung 1 bietet einen groben Orientierungsrahmen:
Abb.: die Lebensphasen im Überblick
Zwischen Karrierestart und dem Übergang in den aktiven Ruhestand variieren z.B. die individuellen Berufs-und Lebensplanungen, die Lebensereignisse und Bedarfe der Mitarbeitenden. Ihr Berufs-und Privatleben wird durch verschiedene Ereignisse geprägt, wie z.B. Elternschaft, Pflege von Angehörigen, Krankheit, Ausbildung, Berufseinstieg, Studium, beruflicher Aufstieg. Ebenso private Interessen wie Ehrenamt oder Hobbies können Auswirkungen auf den beruflichen Werdegang haben.
Alle Instrumente und Maßnahmen der Personalentwicklung flexibel einsetzbar
Der lebensphasenorientierte Rahmen bietet einen flexiblen Ansatz und ist das personalpolitische Dach, um verschiedene Bausteine der bisherigen Personalarbeit nachhaltig in ein ganzheitliches Personalmanagement zu bringen. Personalpolitische Angebote und dialogorientierte Führungsinstrumente wie Gespräche, Beurteilung oder Führungskräfte-Feedback sowie Angebote zur Personalentwicklung in jedem Alter unterstützen die Individualisierung in der Personalarbeit. Oftmals sind viele Angebote schon vorhanden und können genutzt werden. Dabei steht nicht „viel hilft viel“ im Vordergrund. Sinnvoller ist es, vorhandene Maßnahmen aufeinander abzustimmen, Synergien aufzudecken und weiße Flecken konkret bedarfsorientiert z.B. über Workshops mit den Stakeholdern zu identifizieren sowie Lösungen zu bieten.
Instrumente und Maßnahmen für ein Generationenmanagement – das Baukastenmodell
Die nachstehende Abbildung 2 gibt Beispiele, über welche Elemente ein Maßnahme-Baukasten verfügen könnte. Die Instrumente können flexibel eingesetzt werden, um Führungskräfte in ihrer Arbeit ebenso zu unterstützen wie die individuelle Berufs-und Lebensplanung der Beschäftigten in Einklang mit den dienstlichen oder betrieblichen Notwendigkeiten zu bringen. In diesem Kontext wird auch auf den Leitfaden des BMI „Demografiesensibles Personalmanagement in der Bundesverwaltung – Leitfaden zur Ausgestaltung einer lebensphasenorientierten Personalpolitik!“ verwiesen.
Abb.: Beispiele für Maßnahmen und Angebote
2. Praxisbeispiele – Bundesagentur für Arbeit und thyssenkrupp Steel
Die Bundesagentur für Arbeit wurde 2010 und 2011 mit dem internationalen Arbeitgeberpreis von der American Association of Retired Persons für ihr lebensphasenorientiertes Personalmanagement ausgezeichnet. Die im Baukasten aufgeführten Maßnahmen und Instrumente werden überwiegend bereits eingesetzt mit dem Ziel, die Beschäftigungsfähigkeit zu fördern. So ist gezielt auch ein Programm zur Begleitung des beruflichen Aus-und Wiedereinstiegs nach längeren Abwesenheitszeiten konzipiert worden, um Wissensverluste so gering wie möglich zu halten aber auch die Bindung der Beschäftigten zu fördern.
Sehr erfolgreich wurden und werden die nachstehenden Seminare durchgeführt, die auch für die Personalentwicklung relevant sind.
Abb.: Seminarbeispiele zur Unterstützung der individuellen Entwicklung bei der Bundesagentur für Arbeit
So hat sich die BA bewusst gegen Altersgrenzen in den aktuell gültigen Beurteilungsrichtlinien mit Blick auf die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens entschieden. Auch bestehen Karriereoptionen in jedem Alter abhängig von Potenzial und Eignung. Ganzheitlicher Ansatz im Diversitätsmanagement
Der aufgezeigte Rahmen und die begleitenden Maßnahmen bspw. zum Aus- und Wiedereinstieg, die Gesundheitsförderung oder Weiterbildung sind damit wichtige Umsetzungsmaßnahmen in der Gesamtstrategie, den demografischen Wandel, das Diversitätsmanagement sowie die Digitalisierung positiv zu gestalten. Ein lebensphasenorientiertes Personalmanagement unterstützt zudem die Diversitätsbestrebungen von Unternehmen und Behörden. Belegschaften werden immer bunter und vielfältiger.
Interkulturelle Öffnung
Nicht nur hinsichtlich Alter, Geschlecht oder sexueller Orientierung. In Zeiten von Globalisierung oder Migration sind multikulturelle Teams nicht mehr aus dem Arbeitsleben wegzudenken. Menschen mit Migrationshintergrund sind eine wichtige Zielgruppe für Berufsbilder mit Fachkräftemangel. Interkulturelle Zusammenarbeit birgt jedoch auch Herausforderungen an Führung, HR-Angebote oder Kommunikation oder den Abbau von Stereotypen. Interkulturelle Kompetenz der Führungskräfte und Teammitglieder werden wichtiger, um gemeinsam erfolgreich zu sein.
Gezielte Informations-und Kommunikation
Ein wichtiger Aspekt ist die offene, zielgruppenorientierte Kommunikation der Angebote. Vielfach kennen Mitarbeitende die vorhandenen Möglichkeiten nicht oder fühlen sich nicht angesprochenen da eine Defizitorientierung im Vordergrund steht. Auch sehen Führungskräfte teilweise nicht die Relevanz der Angebote für die Leistungs- und Beschäftigungsfähigkeit der Belegschaft. Ein gemeinsamer, integrierter Auftritt z.B. im Intranet kann eine sinnvolle Plattform darstellen. Auch die Einrichtung von virtuellen Communities kann zur Kommunikation genutzt werden. Der wichtigste Kommunikationskanal ist jedoch die Führungskraft. Sie sucht dialogorientiert Lösungen, um Beschäftigten- und Betriebsbedürfnisse miteinander in Einklang zu bringen. Der Personalabteilung kommt in diesem Zuge die Aufgabe zu, Führungskräfte wie Mitarbeitende zu unterstützen.
Die lebensphasenorientierte Personalpolitik wirft also einen holistischen Blick auf den Mitarbeitenden. Sie fördert damit die Motivation, Zufriedenheit, Produktivität und Leistungsbereitschaft und ist im Endeffekt ein wichtiger Baustein, um Fachkräfte zu gewinnen und zu binden und erfolgreich am Markt zu agieren.
Lesen Sie auch Teil I, Teil III und Teil IV dieser Reihe
Sie beschäftigt sich im Unternehmen seit 2012 unter anderem mit der strategischen Ausrichtung des Demografiemanagements und der Lebensphasenorientierung für den Stahlbereich.
Ebenso ist sie an deutschen und europäischen Forschungsprojekten zu HR-Fragen beteiligt. Zuvor war sie im Rahmen verschiedener Demografieprojekte am Institut für Gerontologie an der TU Dortmund beschäftigt.
Lebensphasenorientiertes Demografiemanagement bei thyssenkrupp Steel Europe.
Bereits seit über 10 Jahren, basierend auf einem Demografie-Tarifvertrag in der Eisen-und Stahlindustrie hat thyssenkrupp Steel Europe ein systematisches Demografiemanagement aufgebaut. In den vergangenen Jahren wurde es konsequent an den Lebens- und Berufsphasenorientierung ausgerichtet und dies auch zum Beispiel im Intranet veröffentlicht. Über die vergangenen Jahre wurden eine Vielzahl an Work-Life-Balance Maßnahmen weiter)entwickelt. Hierzu zählt unter anderem die Betriebskita „Stahlsternchen“ für bis zu 90 Mitarbeiterkindern in Duisburg ebenso wie die Pflegemappe als Informationsmedien bei Fragen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Ein Meilenstein 2019 ist die weitreichende Betriebsvereinbarung zum Mobilen Arbeiten, die gerade auch bei der Corona-Pandemie essentiell war, um geregelt von zu Hause aus weiterarbeiten zu können. Um die physische und psychische Gesundheit zu stärken, stehen den Mitarbeitenden viele Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie des Sozialservice zur Verfügung.
Die berufliche Rehabilitation nimmt Beschäftigte in den Blick, deren Leistungsfähigkeit sich etwa durch Krankheit oder andere Schicksalsschläge verändert hat. Mit präventiven Konzepten und einem modernen Arbeitsumfeld wird die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben gestärkt. Der ganzheitlich aufgesetzte Onboardingprozess sowohl für Neueinsteiger aber auch bei internem Jobwechsel hilft neuen Teammitgliedern sich schnell kulturell im neuen Aufgabenumfeld einzufinden. Ein erster Pilot zur Verbesserung des Verständnisses zwischen Jung und Alt wurde erfolgreich erprobt; besonders regen Anklang finden seit Jahren Workshops, die Mitarbeitende auf den nahestehenden Ruhestand vorbereiten.
Dieser Blog stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung des EIPA.