Begleitung in den Ruhestand – Personalentwicklung mal anders

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Demografie, Diversität und Digitalisierung gestalten – ein Modell für ein Generationenmanagement (Teil III)
Dr. Beatrix Behrens & Dr. Carolin Eitner

Neue Anforderungen an die Personalentwicklung

In den vergangenen zwei Kapiteln haben wir uns mit der strategischen Ausrichtung des Personalmanagements mit Blick auf die 3  D- Herausforderungen (Demografie, Digitalisierung Diversität) intensiv beschäftigt. Der strategische Ansatz einer lebensphasenorientierten Personalpolitik als Basis für ein Generationenmanagement erscheint eine mögliche Alternative, die Komplexität im Personalmanagement zu reduzieren. Zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit (Kompetenz, Gesundheit, Engagement) und Aufbau einer von Vertrauen und Wertschätzung geprägten Kultur werden auch moderne Ansätze in der Personalentwicklung gefordert sein. Die Stärkung der Eigenverantwortung für die individuelle Entwicklung steht ebenso im Fokus wie eine stärkenorientierte Förderung der Beschäftigten in jeder Lebensphase.
Mit Blick auf die zunehmende Diversität in der Belegschaft sollte die Ausrichtung und Förderung der vielfältigen und unterschiedlichen Kompetenzen aller Mitarbeitenden mit Blick auf aktuelle und künftige Herausforderungen ein Ziel der Personalentwicklung sein. Mit Blick auf eine moderne und digitale Arbeitswelt steht diese auch vor der Herausforderung, wie die für den Organisationserfolg notwendigen Kompetenzen erkannt, optimal genutzt und gezielt weiterentwickelt werden können. Eine moderne Personalentwicklung ist daher eng mit der Gesamtstrategie verzahnt, um auf Veränderungen wie z.B. die Digitalisierung oder Internationalisierung schnell und professionell reagieren zu können.
Über den Einsatz dialogbasierter Führungsinstrumente wie z.B. die Kooperationsgespräche in der öffentlichen Verwaltung, Entwicklungsgespräche, Beurteilungswesen oder Führungskräftefeedbacks wird  eine  von Vertrauen und Wertschätzung geprägte Kultur gefördert. Personal- und Organisationsentwicklung sind eng miteinander verbunden, um die neue Arbeitswelt zu gestalten.

Lebensphasenorientierte Förderung der Beschäftigten: Potenziale Älterer (an)erkennen, fördern und nutzen

Mit Blick auf die Personalstruktur und die zu erwartende altersbedingte Fluktuation in den kommenden Jahren gewinnt neben der alternsgerechten Gestaltung der Arbeit über die gesamte Erwerbsphase hinweg auch eine von Anerkennung und Wertschätzung geprägte Kultur von Führung und Zusammenarbeit an Bedeutung. Ein modernes Talentmanagement sollte alle Beschäftigten in jeder Lebensphase (von der Einstellung bis zum beruflichen Ende oder ggf. darüber hinaus) erfassen.
Die systematische Identifikation und Nutzung der Potenziale ist ebenso wichtig wie eine kompetenzbasierte und individuelle Personalentwicklung ohne Altersbegrenzung. Dies schließt, in Abhängigkeit von Leistung und Potential sowie der individuellen Berufs-und Lebenplanung, auch die Möglichkeit einer späten Karriere ein. Eine Kompensation von Formalqualifikationen  durch Berufs- und Lebenserfahrung sowie Leistung sollte, wo möglich, beim Design von Entwicklungspfaden berücksichtigt werden. Sie machen Erwartungshaltungen und Anforderungen transparent . Ein derartiges Personalentwicklungssystem mit flexibel einsetzbaren PE-Instrumenten bietet Anreize für lebenslanges Lernen und sichert leistungsorientiert Ressourcen insbesondere bei der Förderung von Fachexperten.
Zu einem modernen Verständnis von Personalentwicklung trägt auch deren Rolle als Gestalterin guter Arbeitsbeziehungen und Arbeitsbedingungen bei. Hierunter kann auch die Begleitung in den Ruhestand und intergenerationales Lernen auch über einen strukturierten Wissenstransfer subsumiert werden – eine immer wichtiger werdende Aufgabe in der Personalentwicklung neben dem Onboarding ist auch das „Offboarding“. Dieser Prozess sollte, individuell gestaltet, circa 2 bis 3 Jahre vor dem Ruhestand beginnen.
Das nachstehende Modell zeigt Beispiele auf, wie das gelingen könnte, den Schritt in den Ruhestand konkret zu gestalten (Abb. 1):

 

Beispiele für Maßnahmen und Angebote zum Übergang in den Ruhestand
Abb.: Beispiele für Maßnahmen und Angebote zum Übergang in den Ruhestand

Den Dialog fördern –bestehende Formate wie: Kooperationsgespräche / Personalentwicklunggespräche nutzen

Neben der klassischen Beurteilung und dem damit verbundenen Leistungsfeedback als Grundlage auch für die horizontale und vertikale Personalentwicklung ist der individuelle Dialog entscheidend. Er prägt entscheidend die mitarbeiterorientierte bzw. transformationale Führung.
In bestehende Dialogformate kann auch auf freiwilliger Basis der Übergang in den Ruhestand thematisiert werden – so zum Beispiel auch der Hinweis auf Teilnahmemöglichkeiten für ein entsprechendes Seminarangebot zur Vorbereitung auf den Ruhestand.
Vorbereitung auf Gespräche
Über Checklisten können die Personalbereiche Führungskräfte wie Mitarbeitende vbei der Vorbereitung unterstützen. Folgende Fragen wären  zum Beispiel interessant:

  1. Was bedeutet Ruhestand für Sie?
  2. Haben Sie sich Gedanken darüber gemacht, wie ein Übergang in den Ruhestand für Sie aussehen kann?
    –  Wie sieht / könnte Ihre Idealvorstellung von einem Übergang aussehen?
  3. Was möchten Sie sich in den verbleibenden Berufsjahren noch vornehmen?
    – Von den Sachen, die Sie noch gerne machen möchten, welche können Sie in Ihrem aktuellen Team verwirklichen?
  4. Gibt es berufliche Dinge, die Sie heute mehr belasten, als noch vor 10 Jahren?
  5. Was bedeutet es für Sie, Ihre Erfahrungen an andere weiterzugeben?
  6. Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, sich nach dem Berufsleben in irgendeiner Form zu engagieren?
    – Ehrenamt? Familiär? in Projekten?
  7. Besteht ein Interesse an der Seminarteilnahme zur Vorbereitung auf den Ruhestand?

Rolle der Führungskraft
Die Führungskraftsteht vor wichtigen Aufgaben im Prozess:

  • Sie stößt den Wissenstransfer an, gibt den Rahmen und die Instrumente vor, motiviert die Beteiligten und begleitet den Prozess.
  • Sie stellt Möglichkeiten zur aktiven Ausgestaltung des Ruhestands vor: bspw. Wissensweitergabe an Nachfolgerinnen/Nachfolger, Beratertätigkeiten im Rahmen von bedarfs- bzw. anlassbezogenen Aufgaben oder Mitarbeit in Projekten, Lernpate/In ,
  • Sie steht dem/der Mitarbeitenden als Ansprechpartner zur Seite (Übergang in den Ruhestand als kritisches Lebensereignis; evtl. Neubewertung der beruflichen Situation).
  • Sie zeigt Möglichkeiten für gesellschaftliches Engagement auf, ermöglicht ggf. einen „Schnuppertag“ in einer sozialen Einrichtung.

Praxisbeispiel thyssenkrupp Steel Europ

Von Erfahrung profitieren: Wissenstransfer

Wissenstransfer bezeichnet die Weitergabe von Wissen und langjähriger Erfahrung eines Wissensgebers an einen Wissensnehmer. Die Anlässe für einen Wissenstransfer sind vielfältig. Ein Arbeitnehmer mit relevantem Betriebswissen verlässt das Unternehmen oder die Position. Langjährig aufgebautes Erfahrungswissen oder Prozesse sollen in der Mannschaft gesichert und dokumentiert werden.
Ein Standardprozess zum Wissenstransfer hilft Führungskräften und Wissenstransfer-Beteiligten, den Prozess nachhaltig durchzuführen.
Initiierend für den Start des Wissenstransfer ist ein persönliches Vorgespräch zur Bedarfsklärung und Zielsetzung mit der Führungskraft und dem Team Learning & Transformation Concepts, sowie die Bereitstellung von Unterlagen zur digitalen oder analogen Selbstorganisation des Wissenstransfers.
Bei der thyssenkrupp Steel Europe AG greifen wir auf Wissenstransfer-Begleiter zurück. Diese Mitarbeitenden stammen aus dem Fachbereich, in dem der Wissenstransfer stattfinden soll. Sie steuern den Wissenstransfer vor Ort und sind Ansprechpartner für alle Beteiligten. Hierzu absolviert der Wissenstransfer-Begleiter ein E-Learning, das neben Hintergrundinformationen auch alle Unterlagen und Hilfsmittel für die Durchführung eines Wissenstransfers beinhaltet. So wird der Mitarbeiter zur individuellen und fachgerechten Begleitung der Methode befähigt und kann zukünftig bei Bedarf auch jederzeit weitere Fälle aus dem Fachbereich betreuen.
Gerade vor dem Hintergrund, dass durch alters- und austrittsbedingte Betriebsabgänge der Bedarf an Wissenstransfer zunimmt, ist es sinnvoll, ein Multiplikatorenkonzept zu realisieren, das vor Ort diesen Prozess begleitet.

Ressourcen über den Ruhestand hinaus sichern: Senior Expert Pool für thyssenkrupp

Eine weitere Möglichkeit, den Kontakt zu ehemaligen Beschäftigten mit langjährigem Erfahrungswissen auch über das Berufsleben hinaus zu halten, ist der Aufbau eines Senior Expert Pools.
Die Idee ist schnell erklärt: Jährlich gehen hunderte Mitarbeitende in der thyssenkrupp Gruppe in den Ruhestand und nehmen wertvolle Erfahrungen mit. Für Unternehmen und Organisationen wird es immer wichtiger, spezielles Wissen von Fach- und Führungskräften auch nach deren Berufsaustritt temporär zu nutzen und so auf sensibles Know-How z.B. im Rahmen von Projekten schnell und sicher zurückgreifen zu können. Zugleich wünschen sich häufig ehemalige Mitarbeitende einen gleitenden Übergang in den Ruhestand bzw. weiterhin eine herausfordernde Aufgabe auf Zeit.
Hinzu kommt, dass der Senior Expert die Organisation und Unternehmenskultur genau kennt und so schnell und effizient mitarbeiten und Projekte begleiten kann. Sein Erfahrungswissen wird geschätzt und gebraucht – dies ist eine Win-Win-Situation für beide Seiten.
Gerade bei Wissen, das z.B. bei jüngeren Beschäftigten nicht mehr ausgebildet wird, bieten Senior Expert Pools eine zuverlässige und schnelle Lösung auf relevantes Know-How zurückgreifen zu können und zeigt Anerkennung für das langjährig aufgebaute Erfahrungswissen.
Die Unterstützung auf Zeit ist vielfältig und kann alle Verantwortungsbereiche und unterschiedliche Aufgaben betreffen, konkret z.B.:

  • Ein Interimsmanager, da auf die Schnelle kein geeigneter Kandidat auf dem Markt gefunden wird.
  • Ein Senior Expert mit spezifischem Know-How, welches in der Unternehmensgruppe aktuell nicht vorhanden ist.
  • Ein erfahrener Projektmanager, der ein junges Team begleitet.
  • Eine personelle Unterstützung zum Beispiel aufgrund von Mutterschutz oder Langzeiterkrankung.

Die thyssenkrupp Senior Experts GmbH hält einen Pool mit pensionierten Fach- und Führungskräften vor, die Spaß und Interesse haben, auch weiterhin der Gruppe für einen gewissen Zeitraum tatkräftig zu unterstützen. Die administrativen Aufgaben, die bei einer Weiterbeschäftigung auf Zeit anfallen, übernimmt dabei die thyssenkrupp Senior Experts GmbH.

 

Senior Expert Pool der thyssenkrupp AG
Abb.: Senior Expert Pool der thyssenkrupp AG, © thyssenkrupp AG

Selbstinformation fördern: Broschüre – Übergang in den Ruhestand

Eine einfache, aber wertschätzende und hilfreiche Möglichkeit, ist eine Informationsbroschüre zum „Übergang in den Ruhestand“. Gerade in der letzten Berufsphase ergeben sich viele Fragen zum Austritt, rechtliche, finanzielle und private Fragestellungen. Eine Broschüre bündelt diese und weitere Fragen und dient als erste Informationsquelle für Mitarbeitende, die sich ca. zwei bis drei Jahre vor dem Berufsaustritt befinden.
Zudem können Kontakthaltemöglichkeiten, Informationen zum ehrenamtliches Engagement oder relevante Fragen zur betrieblichen Altersvorsorge abgedeckt und Ansprechpartner sowie praktische Tipps vermittelt werden.

 

Praxisbeispiel Broschüre zum Übergang in den Ruhestand bei thyssenkrupp Steel
Abb.: Praxisbeispiel Broschüre zum Übergang in den Ruhestand bei thyssenkrupp Steel © thyssenkrupp Steel Europe AG

 

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, den Ruhestand zu begleiten. Viele Instrumente und Maßnahmen sind bereits in vielen Organisationen vorhanden. Diese Facette der Personalarbeit kann oftmals mit minimalinversivem Aufwand in bestehende Konzepte integriert (z.B. in Gesprächsformate) werden.
So bedeutet der Aufbau von Senior Expert Pools beispielsweise auch, rechtzeitig Talente dafür zu identifizieren. Dies kann insbesondere im Kontext vorhandendener Personalentwicklungssysteme geschehen. Mit Blick auf den sinkenden Halbzeitwert des Wissens ist eine enge Bindung an die Arbeitgeber über die Ruhestandsgrenze hinaus wichtig. Damit Wissen nicht veraltet, können zum Beispiel der Zugriff auf interne Systeme wie das Intranet, die Einbeziehung bei ausgewählten Besprechungen oder gezielte Qualifizierungsmaßnahmen sinnvoll sein. Auch Angebote im Bereich der Gesundheitsförderung sollten dieser Gruppe zur Verfügung stehen.
Wie bei vielen Personalthemen setzt auch die Begleitung in den Ruhestand eine Kultur des Vertrauens und die Motivation der Beschäftigten voraus. Im Kontext der lebensphasenorientierten Personalpolitik beginnt die Engagementförderung daher schon mit der Bewerbung und zieht sich durch das gesamte Berufsleben. Die lebensphasenorientierte Herangehensweise ist somit aus unserer Sicht ein wichtiger Stellhebel für den Erfolg und die interne und externe Arbeitgeberattraktivität.
Lesen Sie auch Teil I, Teil II und Teil IV dieser Reihe.

Lebensphasenorientiertes Demografiemanagement bei thyssenkrupp Steel Europe.
Bereits seit über 10 Jahren, basierend auf einem Demografie-Tarifvertrag in der Eisen-und Stahlindustrie hat thyssenkrupp Steel Europe ein systematisches Demografiemanagement aufgebaut. In den vergangenen Jahren wurde es konsequent an den Lebens- und Berufsphasenorientierung ausgerichtet und dies auch zum Beispiel im Intranet veröffentlicht. Über die vergangenen Jahre wurden eine Vielzahl an Work-Life-Balance Maßnahmen weiter)entwickelt. Hierzu zählt unter anderem die Betriebskita „Stahlsternchen“ für bis zu 90 Mitarbeiterkindern in Duisburg ebenso wie die Pflegemappe als Informationsmedien bei Fragen zur Vereinbarkeit von Pflege und Beruf. Ein Meilenstein 2019 ist die weitreichende Betriebsvereinbarung zum Mobilen Arbeiten, die gerade auch bei der Corona-Pandemie essentiell war, um geregelt von zu Hause aus weiterarbeiten zu können. Um die physische und psychische Gesundheit zu stärken, stehen den Mitarbeitenden viele Angebote des betrieblichen Gesundheitsmanagements sowie des Sozialservice zur Verfügung.
Die berufliche Rehabilitation nimmt Beschäftigte in den Blick, deren Leistungsfähigkeit sich etwa durch Krankheit oder andere Schicksalsschläge verändert hat. Mit präventiven Konzepten und einem modernen Arbeitsumfeld wird die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben gestärkt. Der ganzheitlich aufgesetzte Onboardingprozess sowohl für Neueinsteiger aber auch bei internem Jobwechsel hilft neuen Teammitgliedern sich schnell kulturell im neuen Aufgabenumfeld einzufinden. Ein erster Pilot zur Verbesserung des Verständnisses zwischen Jung und Alt wurde erfolgreich erprobt; besonders regen Anklang finden seit Jahren Workshops, die Mitarbeitende auf den nahestehenden Ruhestand vorbereiten.

 

Dieser Blog stellt die Meinung des Autors dar und spiegelt nicht grundsätzlich die Meinung des EIPA. 

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